St. Aposteln, Köln

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St. Aposteln

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7. September 2006 Für eine Enzyklopädie völlig ungeeignetes Essay. 23:35, 7. Sep 2006 (CEST)
St. Aposteln ist eine von zwölf romanischen Basiliken in Köln.

Die dreischiffige Basilika St. Aposteln liegt am Neumarkt. Sie zeichnet sich durch eine besonders großzügige und eindrucksvolle Dreikonchenanlage aus, in die zwei flankierende Osttürme integriert sind. Ihnen gegenüber steht der Westturm, der mit seinen ca. 67 m die anderen Türme der Kölner romanischen Kirchen überragt. Anders als bei Groß St. Martin  7 , wird der kleebrättrige Chor nicht von einem Vierungsturm, sondern einem kurzen achteckigen Turm überragt, der wiederum von einem weiteren eher zierlichen Turm gekrönt wird. Das Querschiff des Langhauses schließt hinter dem Westturm an die Vorhalle an.

In der nördlichen Konche (lat. concha = Muschel) ist das zum früheren barocken Altar gehörige Gemälde von Wilhelm Pottgießer erhalten, das "Martyrium der Hl. Katharina". Weitere Ausstattungsdetails sind u. a. die Skulpturen der "Vierzehn Nothelfer", 16. bis 18. Jahrhundert, eine um 1470 entstandene Madonna und eine Christusdarstellung als "Schmerzensmann", um 1450. Die größte Kostbarkeit des Kirchenschatzes ist der "Heribertskelch" aus dem 13. Jahrhundert.

Interessant ist auch eine an der zum Neumarkt gewandten Aussenfassade befindliche zugemauerte Öffnung, die oft für ein Fenster gehalten wird. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Pforte, durch die die Kirche einst mittels einer Brücke von der bis ins Hochmittelalter genutzten römischen Stadtmauer zu betreten war.
An der Höhe der ehemaligen Pforte lässt sich demnach die ungefähre Höhe der ehemaligen Stadtbefestigung ausmachen. Der Verlauf der Stadtmauer ist an dieser Stelle durch eine unterschiedliche Pflasterung im Bürgersteig kenntlich gemacht worden.

Geschichte

St. Aposteln gehört zu den zwölf großen romanischen Kirchen der Stadt Köln. Köln besitzt damit eine für die Epoche der Hoch- und Spätromanik einmalige Gruppe an hervorragenden Bauwerken, wie es keine andere Stadt des Abendlandes zu bieten hat, auch nicht Rom. Das ist nicht verwunderlich. Köln war im Mittelalter mit ca. 30.000 Einwohnern die volkreichste Stadt des ‚deutschen’ Reiches - von ähnlicher Größe waren nur noch Prag, Paris und London - und Köln bezeichnete sich schon auf seinem ältesten Siegel von 1114/19 selbstbewußt als "Heiliges Köln, von Gottes Gnaden der römischen Kirche treue Tochter" und formulierte damit einen Anspruch, als zweites Rom zu gelten.

Während das berühmteste Bauwerk der Stadt, der Dom, zwar ebenfalls ohne Zweifel zu den Spitzenleistungen der - diesmal gotischen - Kunstgeschichte gehört, ist er aber in entscheidenden Zügen - mit Ausnahme der Fassade - eine Kopie französischer Vorbilder. Die romanischen Kirchen Kölns sind dagegen in viel höheren Maße eigenständige Entwicklungen und stellen teilweise völlig neue Erfindungen dar, was man vom Dom eben nicht sagen kann. Einmalig am Dom ist die Perfektion der Vollendung, aber nicht die Schöpfung selber.

Insofern ist die Bezeichnung ‚romanisch’ für diese Kirchen Kölns auch irreführend. Dieser Terminus kam erst im 19. Jh. in Anlehnung an den Begriff der ‚romanischen Sprachen’ auf. Die ‚romanischen’ Kölner Kirchen sind aber gerade durch ihre Loslösung vom lateinisch-römischen Erbe gekennzeichnet, also eigentlich gerade nicht ‚romanisch’. Aber der Begriff hat sich eben eingebürgert.

In der Zeit zwischen 1150 und 1250 stellt Köln ein entscheidendes Zentrum in der abendländischen Baukunst dar neben Frankreich, das seit 1134 in der Ile-de-France die Gotik entwickelt. Diese 100 Jahre - 1150 bis 1250 - werden in der Literatur seit dem gleichnamigen Buch von Werner Meyer-Barkhausen von 1952 als das "große Jahrhundert Kölnischer Kirchenbaukunst" bezeichnet, an dessen Anfang der Ostchor von St. Gereon 14 (1151-1156) und besonders der Neubau von Groß St. Martin  7  (nach 1150-1172) um das Jahr 1150 herum und an dessen Ende die Vollendung von St. Kunibert 12 1247 stehen.

Ein Jahr später, 1248 beginnt der Neubau des gotischen Domes und damit eine neue Kunstepoche für Köln und für das ganze deutsche Gebiet. Gleichzeitig geht um 1250 die Herrschaftsepoche der Staufer zu Ende und es beginnt im Reich - nach Friedrich Schiller - die "kaiserlose, die schreckliche Zeit". Das große "Kölner Jahrhundert" von 1150-1250 kann also auch das "staufische Jahrhundert" genannt werden.

Der architektonisch interessanteste Bauteil der Apostelnkirche, der kleeblattförmige Drei-Konchen-Chor im Osten wurde ungefähr in der Mitte dieses "Kölner Jahrhunderts" errichtet, beginnend in den Jahren um 1200. Die gesamte Baugeschichte von Aposteln ist allerdings, wie bei fast jeder romanischen Kirche Kölns, kompliziert und setzt sich aus diversen Umbauten, Neubauten und deren weiterer Veränderung zusammen.

Bei dem Blick von oben läßt sich leicht zeigen, dass Aposteln aus prinzipiell drei verschiedenen Teilen besteht, die auch dementsprechend drei verschiedenen Bauzeiten angehören. Grob gesagt sind die ältesten Bauteile das Langhaus in der Mitte mit dem westliche Querhaus, die in ihren Grundzügen und in Teilen ihrer Bausubstanz noch aus der Zeit der Salier-Herrschaft stammen, also aus dem beginnenden 11. Jh. Der Westturm wurde in der Mitte des 12. Jhs. errichtet und der Ostchor ab ca. 1200.

Diese schlichte Dreiteilung muß allerdings relativiert werden. Am ältesten Bauteil, am Langhaus ist am meisten verändert worden, vor allem im 13. und dann noch im 19. Jh. Und von originaler Bausubstanz kann sowieso nur in Rudimenten die Rede sein. Die massivsten Eingriffe in den Originalbestand haben die Säkularisation, also die Auflösung der Klöster ab 1802 nach der Eroberung der Stadt durch Napoleon, und später natürlich die Bombenschäden des Zweiten Weltkrieges verursacht.

Diese Schäden sind immer noch nicht vollständig behoben, obwohl sich die Kölner Bevölkerung nach dem Krieg in vorbildlicher Weise für den Wiederaufbau ihrer großen Kirchen eingesetzt hat, was man von den weltlichen Bauten, also den restlichen 99 % der Stadt leider nicht behaupten kann. Dazu genügt ein Blick auf die Nachbargebäude von Aposteln, die die einstmalige Wirkung der Kirche massiv beeinträchtigen.

St. Kunibert, die historisch letzte romanische Kirche Kölns, konnte vor wenigen Jahren die Vollendung der Rekonstruktion des Westturmes feiern. In Groß St. Martin  7  muß die Innenhaut noch gesäubert und vielleicht auch bemalt werden und auch in Aposteln wurde vor kurzem noch an der Innenraumgestaltung gearbeitet, was sogar Thema eines Spiegel-Artikels gewesen ist.

Vorgeschichte

Zunächst aber noch einiges zur Vorgeschichte von Aposteln. Das, was heute zu sehen ist, ist natürlich nicht der erste Bau an dieser Stelle. Das trifft für keine der Kölner romanischen Kirchen zu. Zum Teil geht die Vorgeschichte dieser Bauten bis in die Römerzeit zurück. Unter dem Boden des Domes kann man noch Reste eines römischen Tempels aus der Zeit um Christi Geburt finden. Gereon hat in seinen Mauern noch Reste des 4. Jhs. und bei Severin hat eine Ausgrabung die Apsis einer Kirche der Jahre um 320 ergeben usw.

Es soll auch hier bei St. Aposteln an der Stelle der heutigen Kirche einen sagenhaften "Ersten Kirchenbau" schon gegen Ende des 9. Jhs. gegeben haben, was aber nicht verbürgt ist. Sicher ist aber, dass hier im 10. Jh. ein Stift gegründet wurde. Diese historisch gesicherte erste Apostelnkirche scheint aber ein relativ einfacher Bau gewesen zu sein.

Das änderte sich zu Anfang des 11. Jhs., und zwar ist sich die Forschung da nicht ganz einig: entweder unter EBf Heribert, der von 999-1021 regierte, oder anschließend unter EBf Pilgrim (Regierungszeit 1021-1036) ist hier ein großer salischer Neubau errichtet worden, der ungeachtet der nicht ganz sicheren Zuschreibung einfach "Pilgrimbau" genannt wird.

Wir wissen von diesem Bau mit Sicherheit, dass er nach Westen gerichtet war, also seinen Chor mit dem Hauptaltar im Westen hatte, da wo heute der hohe Turm steht. Das ist in christlichen Kirchen eigentlich nicht üblich. Die meisten Kirchen sind geostet, haben also ihren Altarraum, den Chor, im Osten, - da wo die Sonne aufgeht. Die Kölner Apostelnkirche des 11. Jhs. bezog sich mit dieser westlichen Ausrichtung auf ein großes Vorbild - wie häufig in Köln -, nämlich auf die Peterskirche in Rom, die auch gewestet ist, bis heute zu. Wichtig ist dabei, dass mit dieser Orientierung an Alt-St. Peter in Rom man sich auf einen Bau bezog, der auf Konstantin zurückgeht, also auf einen römischen Kaiser, und nicht auf ein Bauwerk des Papstes. Man bezog sich mit dem Blick auf Rom also nicht auf den Sitz des Papstes, sondern auf die große historische Rolle der Stadt Rom, in deren Nachfolge man sich sah.

Von diesem salischen Pilgrimbau, der auch die Grundmaße der heutigen Kirche bestimmt, sind noch erhalten: große Teile der Außenmauern des Langhauses, des westlichen Querschiffes und Teile der Mittelschiffwände. Einschränkend muß allerdings gesagt werden, dass die dünne Außenhaut, die Sichtwand dieser Mauern meistens erneuert wurde. Also nur der Kernbereich dieser Mauern ist noch aus dem 11. Jh.

Die mathematischen Ordnungsverhältnisse

Gleichzeitig kann hier ein grundlegendes Bauprinzip dieser Architekturepoche gezeigt werden, das auch für die folgenden Jahrhunderte maßgebend bleiben sollte. Die Maßeinheit für den Grundriß ist das sog. "Vierungsquadrat", also jenes Quadrat, das gebildet wird durch die gegenseitige Durchdringung von Mittelschiff und Querschiff. Das Querschiff setzt sich aus drei solcher Vierungsquadrate zusammen genauso wie das ehemalige salische Mittelschiff. Der Westturm steht auf einer solchen Maßeinheit und im später gebauten Drei-Konchen-Chor werden diese Verhältnisse ebenfalls eingehalten. Die Breite der Seitenschiffe beträgt genau die Hälfte der Mittelschiffbreite.

Solche mathematischen Maßverhältnisse kann man in der gesamten mittelalterlichen Architektur wiederfinden und übrigens auch in der Musik, womit nur darauf hingewiesen sein soll, dass hinter solchen Maßverhältnissen eine ganz bestimmte Weltsicht steht, die sich in vielen zeitgenössischen Kulturformen zeigt und die in solchen klaren mathematischen Maßverhältnissen eine Widerspiegelung der göttlichen Ordnung sieht. Das Quadrat mit seinem "vollkommenen Zahlenverhältnis" von 1:1 war im 12. Jh. das geometrische Abbild der Gottheit.

Mit dem Begriff des Göttlichen war durch das ganze Mittelalter hindurch der Begriff "ordo" verbunden, ordo bedeutet "Ordnung, Maß". Das geht auf den antiken Architektur-Schriftsteller Vitruv zurück, dessen Werke in zahlreichen Abschriften bekannt waren. Nicht umsonst waren im frühen Mittelalter die Baumeister meistens Theologen, die bautechnisch wenig gebildet waren. Das änderte sich erst in der Gotik ab ca. 1250, als geschulte Fachleute die Bauführung übernahmen. Man stellte sich die göttliche Schöpfung nach den Verhältnissen der Geometrie vor und "indem er sich der Geometrie unterwarf, meinte der mittelalterliche Architekt, das Werk seines göttlichen Lehrmeisters nachzuahmen".

Architektur und Machtanspruch

Das Querhaus ist einschiffig, hat also keine Seitenschiffe, und liegt relativ nahe an der ehemaligen Westapsis. Eine solche Konstruktion wird "römisches Querhaus" genannt und hier ist noch das Vorbild von Alt-St. Peter in Rom zu spüren, auf das sich der Pilgrimbau von Aposteln im 11. Jh. bezog.

Aber das war nicht der einzige Faktor, der die Form eines solchen bedeutenden Bauwerkes bestimmte. Da gab es auch die symbolische Bedeutung als Zeichen von Macht oder Machtanspruch. Nicht nur in St. Aposteln wurde um das Jahr 1000 herum oder wenig später neu gebaut. Fast alle Bischofssitze im Land erhielten in dieser Zeit gewaltige neue Kathedralbauten als Zeichen einer neuen Souveränität des "deutschen" Kaisertums im Gegensatz zum Machtanspruch des Papstes in Rom, daher auch die Orientierung am konstantinischen Alt-St. Peter.

Der Beginn einer eigenständigen deutschen Architektur

Nach der kurzlebigen Hochblüte der deutschen Baukunst unter Karl d.Gr. zu Anfang des 9. Jhs. mit dem Zentrum in Aachen war es durch den Einbruch fremder Völkerscharen, der Ungarn, der Normannen und der Sarazenen zu einem fast völligen Stillstand gekommen. Von 850-950 fand das sog. "dunkle Jahrhundert" statt, wo überhaupt wenig passierte und von dem wir auch die wenigsten historischen Dokumente besitzen. Im 10. Jh. beruhigten sich die Wirbel der Völkerwanderungsphase unter der Herrscherfamilie der Ottonen.

Die kunsthistorischen Epochen der Romanik werden in Deutschland nach den jeweiligen Herrscherhäusern benannt. Nach den Karolingern kamen 920 die Ottonen (920-1030/50), die ihren Stammsitz in Sachsen hatten und dort auch ihre wichtigsten Bauwerke entstehen ließen. Im 2. Drittel des 11. Jhs. starben die Ottonen aus und die Herrschaft ging auf die Salier über, die aus dem mittelrheinischen Gebiet (Worms, Speyer) stammten und dementsprechend kam auch das Zentrum der Bautätigkeit hier hin. Das ist einer der entscheidenden Gründe, dass jetzt zu Anfang des 11. Jh. auch eine neue Epoche in der Kölner Baugeschichte beginnt. Davon zeugen bei St. Aposteln heute noch das Lang- und das Querhaus.

Gleichzeitig aber war diese Zeit der Beginn einer eigenständigen deutschen Architektur, die sich jetzt im Gegensatz zur karolingischen Epoche von den anderen nationalen Formen deutlich unterschied. Das hatte entscheidend mit einem nur hier in Deutschland existierenden ideologischen Anspruch der Architektur zu tun, und zwar mit dem Anspruch des Kaisertums auf eine umfassende Herrschaft in der Tradition der antiken Kaiser, der Cäsaren. Jetzt und nur hier im "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" wurde die weltliche Herrschaft verbunden mit einem auch religiös-geistlichen Anspruch. Diesen Anspruch hatten schon im 10. Jh. die Ottonen, die deshalb in ihren Bauwerken eine bis dahin unbekannte Größe und Weiträumigkeit anstrebten, wie sie sich auch hier noch im salischen Langhaus von Aposteln zeigt. Diese schlichte Gleichsetzung von Größe der Macht und Größe der Architektur zieht sich durch die gesamte Kunstgeschichte.

Unter der salischen Herrschaft geriet dieser Führungsanspruch dann allerdings in den schweren und folgenreichen Konflikt mit dem universellen Herrschaftsanspruch des Papstes. Die Auseinandersetzung darüber, wer die Priester und Bischöfe einsetzen durfte, mit anderen Worten: wer seine eigenen Leute an die Schaltstellen der Macht setzen durfte, der sog. Investiturstreit begann, der im Canossa-Gang des deutschen Kaisers Heinrich IV. 1077 sein bekanntestes Ereignis fand. Wichtig ist hier für unsere Fragestellung, dass die Architektur auf deutschem Boden zu dieser Zeit entscheidend etwas mit einem Machtanspruch zu tun hatte. Und dieses Bedürfnis des Kaisertums, sich zu legitimieren, steigerte sich, je unsicherer die reale Machtbasis war, was besonders in der staufischen Zeit deutlich wurde, die auf die Ottonen folgte.

Die im Vergleich zu dem Vorgängerbau von Aposteln gesteigerte Größe des salischen Lang- und Querhauses hat also mit einem solchen Machtanspruch des deutschen Kaiserhauses zu tun. Diese beiden Bauteile erhielten später um 1230 statt der flachen Holzdecken Steingewölbe und auch das war ein Zeichen der Unabhängigkeit von Rom, denn die römisch-altchristlichen Kirchen hatten alle kein Gewölbe, wohl aber einige antike Basiliken und die Thermenanlagen, also kaiserliche Gebäude. Wir haben hier also das gleiche Denken vorliegen wie bei der Frage, warum der salische Chor im Westen lag und nicht wie üblich im Osten.

Die heutigen Gewölbe des Lang- und des Querhauses in Aposteln dokumentieren also eine Rückbesinnung auf die vorchristliche, antike Architektur, als der Papst noch keine Rolle spielte. Solche Aspekte sind hier wichtig: also die Frage, ob ein flaches Holzgewölbe oder ein Steingewölbe benutzt wurde, hat auch damit zu tun, auf welche Vorbilder man sich beziehen wollte, d. h. welcher Staatslehre man anhing, der kaiserlichen oder der päpstlichen. Ähnliche, allerdings sehr gemilderte Verhältnisse gab es auch in Köln in der Konkurrenz zwischen bürgerlichen und geistlichen Auftraggebern für kirchliche Neubauten.

Zurück zur salischen Architektur und dem ersten Bau von St. Aposteln: Das Grundprinzip dieser Epoche ist ein festes Maßsystem - ausgehend vom Vierungsquadrat -, dann eine einheitliche Durchgestaltung des ganzen Baukörpers und die polare Gegenüberstellung von östlichen und westlichen Bauteilen, also eines Westchores und eines Ostchores. "Die strenge Bindung an ein festes Maßsystem, die einheitliche Durchgestaltung eines ganzen Baukörpers und das Prinzip der Gruppierung liegender und vertikaler, vieltürmiger Bauteile ... bleibt bis zum 13. Jh., bis zum Aufgreifen der französischen Gotik für die deutsche romanische Architektur bezeichnend" (Adam, Ernst: Vorromanik und Romanik. Frankfurt 1968, S. 17).

Die Stadtmauer

In diesem 11. Jh. gehörte Aposteln noch gar nicht eigentlich zum Stadtgebiet. Die damals noch intakte römische Stadtbefestigung ging haarscharf an St. Aposteln vorbei. Erst 1106 wurde eine neue Stadtmauer gebaut und schließlich ab 1180 bis weit ins 13. Jh. hinein eine weitere, die ein wesentlich größeres Areal umfaßte und von deren zwölf Stadttoren noch einige stehen: z.B. das Hahnentor am Rudolfplatz oder die Eigelsteintorburg am Ebertplatz.

Es gab nicht umsonst zwölf Stadttore. Diese Zahl hatte symbolische Bedeutung. Einige Stadttore hatten gar keine richtige wirtschaftliche Funktion, sondern waren in ihrer rein dekorativen Form eindeutig als Symbolbauten gedacht, um die Zahl Zwölf zu erreichen und nicht umsonst hat Köln zwölf romanische Kirchen.

Zwölf steht für die zwölf Apostel, und mit zwölf Stadttoren erreichte Köln die symbolträchtige Weihe als Abbild des "Himmlischen Jerusalem", wie sie in der Offenbarung des Johannes im 21. Kapitel beschrieben ist. Damals stellte man sich deshalb den Himmel generell in dieser architektonischen Gestalt vor. Auf solche symbolische Bedeutungen in der Architektur wie hier bei der Stadtmauer wird im folgenden bei der Analyse des Baues von St. Aposteln und verwandter Bauwerke noch mehrmals hingewiesen.

Diese Stadtmauer von 1180 lag zwei Meter unter dem heutigen Straßenniveau und war mit acht Kilometern Länge die größte Stadtmauer nördlich der Alpen. Sie wurde in ihrer 700jährigen Geschichte niemals bezwungen und mußte erst in den 80er Jahren des 19. Jhs. dem Bevölkerungsdruck der Stadt Köln weichen. An ihrer Stelle entstanden die heutigen "Ringe".

Gleichzeitig mit der neuen Stadtmauer wurde ab 1180 der Neumarkt errichtet (Name!) als "neuer" und zusätzlicher Handelsplatz zu den bereits bestehenden Plätzen in der Nähe des Hafens am Rhein. Das jetzt gegen Ende des 12. Jhs. entstehende Stadtbild Kölns mit den Neu- und Umbauten der romanischen Kirchen wird sich bis ins 18. Jh. hinein nicht mehr wesentlich ändern, wenn man vom Bau des gotischen Domes einmal absieht.

Was uns hier mehr interessiert ist, dass sich St. Aposteln jetzt im ausgehenden 12. Jh. nicht nur in seiner Baugestalt änderte, sondern auch in seiner Ausrichtung. Es hatte sich ein Wechsel in der religiösen Liturgie ergeben, der einen Westchor nicht mehr erforderte, sondern sich nach Osten orientierte. Hinzu kam, dass mit dem neuerbauten Neumarkt direkt vor der Kirche eine große Freifläche entstanden war, die es geraten sein ließ, den Ostteil zur neuen Schaufläche, zum dominierenden Zentrum der Kirche zu machen.

Ob die Umbauarbeiten an St. Aposteln ab 1150 von vorneherein den West- und den Ostteil umfassen sollten, ist ungewiß. Jedenfalls passen beide Partien hervorragend zusammen und zwar für eine Sicht von Osten, also vom Neumarkt aus. Man nimmt deshalb an, dass möglicherweise beide Umbauprojekte trotz der zeitlichen Distanz von 50 Jahren auf die Planung des gleichen Baumeisters zurückgehen und zwar desselben Baumeisters, der auch Groß St. Martin  7  entworfen hat.

Was damals im 12. und 13. Jh. in den Architekten- und Handwerkerkreisen Kölns alles diskutiert wurde und was den Baumeistern durch den Kopf ging, läßt sich natürlich nicht mehr genau anhand irgendeiner Quellenlage erschließen, sondern höchstens vermuten. Jedenfalls ist es viel gewesen, denn in Köln konzentrierten sich die meisten damaligen architektonischen Neuerungen und es wurde sicher über alles diskutiert, was sich in der näheren und weiteren Umgebung bis nach Frankreich und Italien hin in der Baugeschichte so tat.

Man hat einmal zusammengestellt, dass zwischen 1150 und 1250, also im bereits erwähnten "Kölner Jahrhundert" nicht nur an den zwölf großen romanischen Kirchen gebaut wurde, sondern dass es insgesamt zu 28 Kirchen-Neubauten, 2 Erweiterungen, 4 Umbauten, weiter zu nachweislich 70 steinernen Häusern von Patriziern und nicht zuletzt zum Bau der Stadtmauer mit ihren zwölf Torburgen gekommen ist. Diese enorme Bautätigkeit blieb nicht auf Köln beschränkt, sondern strahlte weit aus in die Gebiete des heutigen Belgien und Holland, was in der Kunstgeschichte als Rhein-Maas-Gebiet zusammengefaßt wird. Zentrum all dieser architektonischen Neuerungen war und blieb Köln.

Womit diese neue Bauwelle ab 1150 zusammenhing, kann hier nur kurz erwähnt werden. Zum einen war der machtpolitische Kampf zwischen Welfen und Staufern damals mit der Wahl Friedrich Barbarossas zugunsten der Staufer beigelegt worden, zu deren Einflußgebiet Köln gehörte. Der damalige EBf Rainald von Dassel (1120-1167) war nicht umsonst Reichskanzler (1156-1159) und wichtigster Berater Barbarossas. Dann gewann zunehmend das Bürgertum und das Handwerk an Bedeutung.

Der Fernhandel wurde ausgedehnt, der Wohlstand stieg und die Patrizier übernahmen in zunehmendem Maße die Verwaltung ihrer Städte, was sie durch großzügige neue Bauaufträge dokumentierten, worin sie in fruchtbare Konkurrenz zur städtischen Geistlichkeit traten. Also auch hier - wie schon im 11. Jh. mit dem Beginn der Salier-Herrschaft - wird eine neue gesellschaftliche Position architektonisch unter-mauert.

Nebenbei bemerkt hatte der wirtschaftliche Wohlstand und der zunehmende Handel ab ca. 1150 vor allem etwas mit einem starken allgemeinen Bevölkerungswachstum zu tun, das bis 1300 andauerte und das wiederum bei den Historikern mit einer Warmwetterperiode in Zusammenhang gebracht wird, die vom 9. bis zum 13. Jh. dauerte. In dieser Zeit sind in England Ölbäume nachgewiesen worden. Die großen Handelsplätze Prag, Köln, Paris und London erreichten jetzt erstmals mehr als 30.000 Einwohner. Entsprechend groß war der Kapitalfluß und die Baubegeisterung.

In St. Aposteln wurde um 1150 herum erst einmal ein neuer Westchor errichtet. Man schüttete die Krypta des alten salischen Westchores zu und errichtete auf ihr einen 67 m hohen Westturm. Diesem Umbau scheint ein Brand vorausgegangen zu sein. Es ist aber unsicher, ob dadurch die Umbauabsicht erst ausgelöst worden war. Denn ganz Köln wurde in dieser Zeit von Bauleidenschaft ergriffen und es erscheint unwahrscheinlich, dass man dabei Aposteln übergangen hätte, wenn es zu keinem Brand gekommen wäre.

Die Westwerk-Idee

Der neue Westturm wird von zwei halbrunden Treppentürmen begleitet und es ist nicht zu übersehen, dass mit einer solchen Kombination das alte karolingische Motiv eines Westwerkes anklingt. Und weil ein solches Westwerk in der nordeuropäischen und auch in der Kölner Architektur eine maßgebliche Rolle spielt, soll hier darauf eingegangen werden.

Ein Westwerk ist kurz gesagt ein eigenständiger turmähnlicher Bauteil, so etwas wie eine angebaute eigene Kirche - ursprünglich eine des Kaisers - mit eigenem Altar, liturgisch selbständig und innen an einer Seite geöffnet, also mit dem Langhaus der Kirche verbunden. Köln hat zwei bedeutende Westwerk-Bauten zu bieten: Maria im Kapitol und Pantaleon. Ein Westwerk ist innen immer zweigeschossig um einen quadratischen Raumschacht herum angeordnet, der außen als Turm in Erscheinung tritt und das hat für die nordeuropäische Architektur weitreichende Konsequenzen.

Man könnte auch sagen, ein Westwerk sei ein quadratischer Turm, der innen in seiner Mitte wie ein Treppenhaus geöffnet ist, das in halber Höhe eine umlaufende Empore hat, und dass sich dieser Turm mit seiner Empore an einer Seite dem Kirchenschiff öffnet. Die Tradition eines solchen Westwerkes beginnt mit dem Aachener Münster des 8. Jhs., dem Bau Karls d. Gr. Hier konnte der Herrscher im erhobenen ersten Geschoß von seinem Thronsessel aus dem Gottesdienst folgen, ohne seinen eigenen liturgischen Bereich zu verlassen, man könnte auch sagen: ohne sich zum Abhängigen des Priesters zu machen.

Im Gegenteil wird in einem Westwerk mit seinem bollwerkartigen Charakter eher der Schutz der Kirche betont, also die Souveränität des Kaisers über den Priester, der ja damals auch von ihm eingesetzt wurde. Das Westwerk blieb in seinem Erdgeschoß auch den mehr weltlichen Angelegenheiten vorbehalten, die die aktive Teilnahme des Herrschers erforderten, vor allem juristischen Handlungen wie beispielsweise Gerichten (Sendgerichte).

Hier klingt wieder in der Architektur jener das ganze Mittelalter durchziehende Antagonismus zwischen geistlicher und weltlicher Herrschaft an, den ich schon angesprochen hatte. Dieses erste Geschoß eines unabhängigen Westwerkes war von den Treppentürmen her zugänglich, die daher zusammen mit dem Turm das charakteristische Signum eines solchen Westwerkes ausmachen.

Aposteln läßt aber in seinem ab 1150 gebauten neuen Westchor nur noch die Idee eines Westwerkes anklingen, ist aber keines mehr. Denn der Investiturstreit zwischen dem Kaiser Heinrich IV. und dem Papst Gregor VII. ging zugunsten des Papstes aus. Nach 1100 wurden die Priester nicht mehr vom Kaiser ernannt, sondern vom Papst, und die kaiserliche Repräsentanz im Bauwerk durch das Westwerk verschwand aus der Architektur. Im 12. und 13. Jh. wurden solche älteren Westwerke häufig umgebaut und stärker mit dem Hauptraum verbunden.

In Köln war dieses Thema damit aber noch längst nicht erledigt. Denn Köln gehörte auch trotz seines Rufes als "heiliges Köln" mit später insgesamt 97 Kirchen (um 1200 erst 36) zu den Städten, die sich am wirksamsten gegen ihre kirchliche Obrigkeit zur Wehr gesetzt haben. Und es entstand nun die paradoxe Situation, dass die Kaiser, - besonders ab 1150 die Staufer - sich mit den aufstrebenden Städten gegen die jeweiligen Bischöfe dieser Städte verbündeten. Und vielleicht läßt sich die unentschiedene Gestaltung des Westturms von Aposteln zwischen "weltlichem" Westwerk und "geistlichem" Westchor damit erklären.

Der Drei-Konchen-Chor

Rund 50 Jahre später um das Jahr 1200 herum, wieder nach einem Brand (1192), wurde nun mit dem Bauteil begonnen, dem Aposteln seine Bedeutung verdankt, dem ausgereiftesten und imposantesten Drei-Konchen-Chor Kölns und damit der Kunstgeschichte überhaupt und zugleich einem der faszinierendsten Architektur-Schaubilder. Wenn sich diese Feststellung heute nicht mehr so ohne weiteres in einem Blick vom Neumarkt aus nachvollziehen läßt, dann liegt das an der Nachkriegsbebauung, die nicht nur in diesem Fall den zahlreichen Kölner Baudenkmälern keinen angemessenen Rahmen bietet – um es mal höflich auszudrücken.

Köln hat gleich drei solcher Drei-Konchen-Chöre zu bieten: neben dem Initiationsbau in St. Maria im Kapitol 16 von 1040/60 die wirklich grandiose Wiederaufnahme dieses Motivs in Groß St. Martin  7  ab 1150 und dann um 1200 eben Aposteln. Es wird in der Literatur hin und wieder auch St. Georg und St. Andreas dazugerechnet, aber das hat mit Überlegungen zu tun, die hier keine Rolle spielen.

Zunächst: was ist ein Drei-Konchen-Chor? Im Gegensatz zu einem Grundriß als lateinischem Kreuz, bei dem ein gerades Langhaus im Kopfbereich von einem ebenfalls geraden Querhaus rechtwinklig durchkreuzt wird, wie bei St. Aposteln im Westen, werden beim Drei-Konchen-Chor drei gleich große Apsiden an den Seiten eines (einbeschriebenen) Quadrates so zueinander gesetzt, dass sich im Grundriß die Form eines Kleeblattes ergibt, weshalb diese Lösung auch "Kleeblattchor" genannt wird. Dadurch ergibt sich hier im Osten an der Stelle des Chores ein Zentralbau, also ein Bau mit einem eigenen Zentrum und gleichwertigen Seitenteilen.

Der Begriff "Drei-Konchen-Chor" wird in der Literatur immer mit St. Maria im Kapitol 16 in Köln verbunden. Diese um 1040 begonnene und 1065 geweihte Kirche ist ein Schöpfungsbau der niederrheinischen Architektur. Hier wurde nicht nur ein antikes Motiv in die nordeuropäische Architektur eingeführt. Hier wurde eine Neuformulierung geschaffen, die einer Erfindung gleichkommt, für die es keine direkten Vorbilder gibt. Vor allen Dingen die spezifische Verbindung von Langhaus und dem Zentralbau des Drei-Konchen-Chores wurde neu geschaffen, ein Problem, das die ganze Renaissance und den Barock noch beschäftigen sollte. Am Grundriß läßt sich besonders deutlich zeigen, wie durchdacht diese ganze Planung 1040 gewesen ist. Die Seitenschiffe des Langhauses werden in gleicher Breite ohne jede Unterbrechung um den gesamten Chor mit seinen drei Apsiden herumgeführt, wie es in keinem der relevanten Vorgängerbauten der römischen Antike oder des Orients der Fall gewesen ist.

Da der Drei-Konchen-Chor als eine der bedeutendsten Kölner Erfindungen in der Architektur gilt und bei St. Aposteln in seiner überzeugendsten Formulierung auftritt, muss hier auch auf die Entwicklung dieses Baumotivs eingegangen werden. Damit wird für die Apostelnkirche nach dem salischen Lang- und Querhaus, nach dem staufischen Westbau mit seiner westwerkähnlichen Form jetzt der Ostbau architekturhistorisch in seinen Entwicklungslinien abgeleitet.

Als Grundtypus basieren die Kölner Kleeblattchöre auf spätrömischen Memorialbauten, also auf Grabkapellen. Köln hat natürlich auch hier ein Beispiel auf seinem Stadtgebiet. Eine wenig besuchte und im Originalzustand noch weitgehend unveränderte Grabanlage aus der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. liegt in Köln-Weiden direkt an der Aachener Str. Nr. 1328. Hier kann also - allerdings mit Abstrichen - eine Vorform des Drei-Konchen-Chores besichtigt werden. Der Grundriß zeigt, dass bei dieser in die Erde hinein gebauten Anlage die Konstruktion noch sehr schematisch war. Die oberirdischen Grabanlagen dieser Zeit kamen da schon eher der Drei-Konchen-Form näher.

Der Grund, warum ausgerechnet römische Grabbauten für die christliche Architektur vorbildlich wurden, liegt in folgendem: Das Urchristentum hatte überhaupt keine feste Vorstellung von einer spezifischen Architektur, die seiner Religion angemessen wäre. Denn man rechnete zu Anfang mit einer baldigen Wiederkehr Christi und dem bevorstehenden Ende der irdischen Existenz. Und da schien es sich nicht mehr zu lohnen, extra noch neue Bauwerke zu errichten. Die Urchristen versammelten sich in allen möglichen Räumen von Privatwohnungen angefangen bis zu heidnischen Tempeln.

Als sich die Wiederkehr Christi, die sog. Parusie aber verzögerte, fing man seit dem Ende des 2. Jhs. an, sich langsam auf eine längere Verweildauer auf Erden einzurichten und man machte sich jetzt auch Gedanken über angemessene neue Bauwerke. Und hier spielten die sog. Märtyrerkirchen eine große Rolle. Es begann eine folgenreiche Entwicklung, die die Funktion des Altares neu bestimmte, nämlich als Erinnerungsstätte an bedeutende Tote, an die Märtyrer des christlichen Glaubens. Das war vorher nicht so gewesen. Und mit der neuen Altarfunktion als Toten-Denkmal wurde nun die Architektur der heidnischen Grabbauten als einzigem greifbaren Vorbild wirksam.

Hinzu kam, dass seit dem sog. Toleranzedikt von Mailand durch Kaiser Konstatin im Jahr 313, das in Folge (391) das Christentum zur Staatsreligion machte, das römische Imperium nicht mehr als heidnisch galt und somit seine Architektur als durchaus rezeptionswürdig erschien. So kam der Zentralbau in die christlich-abendländische Architektur.

Im frühen Mittelalter war diese Bauform weit verbreitet. Das bedeutendste Beispiel in der Sakralarchitektur ist die Geburtskirche in Bethlehem zu Ende des 5. Jhs. Bethlehem war neben Jerusalem ein viel besuchter Wallfahrtsort und von daher gelangte die Kenntnis dieser Kirche auch ins Abendland. Die Übereinstimmung der Grundrißmaße von Köln und Bethlehem ist so überzeugend, dass eine direkte Übernahme als zwingend angesehen werden muß. In Mitteleuropa gibt es vor Maria im Kapitol offensichtlich keine entsprechenden Bauwerke. Wenn man die beiden Grundrisse miteinander vergleicht, ist zu sehen, dass der Kölner Bau die Idee mit den drei Konchen und den umlaufenden Seitenschiffen erst richtig zu Ende gedacht hat, so dass man hier in Köln erst von einer einheitlichen Komposition sprechen kann.

Als Randbemerkung könnte man noch erwähnen, dass die Wiederaufnahme der Bauform aus Bethlehem hier in Köln auch damit zusammenhängen kann, dass es im Mittelalter für den Besuch der Wallfahrtskirche in Bethlehem einen Sündenablaß gab, der auch für den Fall galt, dass man eine Kirche mit einer ähnlichen Form aufsuchte, so dass also dieser Sündenerlaß auch für einen Besuch in Maria im Kapitol galt.

Geburt und Tod in der Architektur – Zur Psychologie des Zentralbaus

Entscheidender ist, dass hier beim Drei-Konchen-Chor und seinen Vorformen nicht nur das Thema der Geburt, sondern auch das des Todes angesprochen war. Baptisterien, also Geburtskapellen, und Grabkapellen, wie schon erwähnt, tendierten in der frühen Architekturgeschichte des Abendlandes zu dieser Form. Auch die sog. Karner, die Beinhäuser, die früher häufig neben den Kirchen standen und in denen die Gebeine der Verstorbenen aufbewahrt wurden, waren kreisförmig oder zumindest oval. Hier deutet sich ein Verhältnis an, das einen Zusammenhang herstellt zwischen fundamentalen Begebenheiten des menschlichen Lebens und einer bestimmten architektonischen Form des Gebäudes, in dem die zugehörigen rituellen Handlungen begangen und gefeiert werden. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Gebäude auf einem einfachen kreuzförmigen Grundriß grundsätzlich von einem Zentralbau wie dem Drei-Konchen-Chor.

Die architekturhistorische Bedeutung des Drei-Konchen-Chores ist in der Literatur seit langem ein gern diskutiertes Thema und es soll hier ein psychologischer Aspekt hervorgehoben werden, der in der Kunstgeschichte natürlich nicht so häufig anzutreffen ist.

In einem Zentralbau stehen die Menschen wie in einem Kreis zusammen, blicken sich gegenseitig an und bilden ein spirituelles Zentrum in ihrer Mitte. Der Chorbereich der Kirche ist ja ursprünglich auch der eigentliche Versammlungsraum der Mönche, die eine spirituelle Gemeinschaft bilden und wo sich auch die Sängerchöre gegenüberstanden. Jahrhundertelang war ein solcher Chor durch Mauern oder Lettner deutlich vom anschließenden Langhaus getrennt, in dem die übrigen Gläubigen Aufnahme fanden, die nicht zum Kloster gehörten und denen die religiösen Glaubensinhalte durch die Predigt vermittelt wurden.

Dieses Zentrum in einem Zentralbau muß relativ leer sein, kann also keine größere Materialsymbolik annehmen, weil damit der Kontakt der Umstehenden untereinander häufig unterbrochen wäre. So ist beispielsweise das Taufbecken in einer Geburtskirche so niedrig und hat keinerlei Umbauten, so dass jeder darüber hinwegsehen kann. Es gibt daneben natürlich auch noch praktische Gründe, warum ein Taufbecken nicht allzu hoch sein sollte, aber das hätte man auch anders machen können. Man soll nur einmal versuchen, sich einen riesigen Altar in einem solchen Zentrum vorzustellen und es wird direkt evident, dass damit der Sinn der Handlung und der spirituelle Kontakt der Handelnden untereinander zerstört wäre.

In einer kreuzförmigen Basilika mit großem Langhaus wird ein grundsätzlich anderes Verhältnis der Gläubigen zur feierlichen Handlung dokumentiert. Das spirituelle Zentrum entsteht nicht zwischen den Beteiligten, sondern höchstens in einer Konfrontation mit dem Altarbereich und der Vermittlung der Heilswahrheiten durch den Priester, also in einer wesentlich passiveren Haltung.

Von da her läßt sich vielleicht vermuten, warum sich für die kardinalen Eckpunkte des menschlichen Lebens, die Geburt und den Tod, ein Zentralbau als architektonischer Rahmen entwickelt hat. In beiden Fällen geht es um ein Darum-herum-Stehen, um ein Im-Kreise-Stehen um ein Zentrum herum, ob nun die Beteiligten, die nicht umsonst "Zeugen" genannt werden, um ein Taufbecken herum stehen und den Neugeborenen in ihrer Mitte aufnehmen, oder ob die Grabträger um den Leichnam herum-stehen oder ihn, wiederum in ihrer Mitte, zu Grabe tragen oder den Sarg mit Kerzen um-geben. In beiden Fällen handelt es sich um eine feierliche Handlung, deren dynamische spirituelle Aktivität in hohem Maß von den Beteiligten selber aufgebracht wird, ohne dass eine Vermittlung durch einen Priester sonderlich notwendig wäre.

Als eine Art vorläufiger These ließe sich also formulieren: Ein Zentralbau ist der Ort für die eigenschöpferische Beschwörung einer geistigen Vision zwischen Gleichberechtigten. In einem Langhaus wird das Glaubenszentrum mit dem Altar und der Priesterhandlung in einem frontalen Gegenüber erlebt. Die Beteiligten sind nicht gleichberechtigt, sondern in eine aktive und eine passive Seite aufgeteilt. Das lateinische Langhaus wäre also demgegenüber der Ort für die Ausrichtung der Gläubigen auf ein bereits festgelegtes Ritual.

Dieser Gedanke des Verhältnisses zwischen einer mehr eigenständigen und einer mehr passiv-ergebenen Grundhaltung zu der jeweiligen Architektur läßt sich in einigen anderen Zusammenhängen weiter verfolgen, ohne dass damit der Anspruch auf wissenschaftlich bewiesene Endgültigkeit erhoben werden würde. Beispielsweise in der unterschiedlichen Architektur der Parlamentsräume diktatorischer Staaten im Vergleich zum Versammlungsraum des britischen Unterhauses: auf der einen Seite eine klare Konfrontation der Delegierten gegen eine um diverse Meter höher liegende Regierungsbank im alten sowjetischen Parlament und auf der anderen ein gleichwertiges Gegenüberstehen von Regierungs- und Oppositionsbänken über einen niedrigeren Tisch hinweg im englischen Parlament. Die gleiche Konstellation galt übrigens schon für das exekutive Zentralorgan des Imperium Romanum, der Kurie auf dem Forum Romanum.

Man könnte auch daran denken, dass bei politischen Verhandlungen zwischen vielen verschiedenen Staaten mit peinlicher Sorgfalt darauf geachtet wird, dass alle Beteiligten entweder an einem großen runden Tisch sitzen oder an einem viereckigen mit gleicher Seitenlänge, also an einem 'Zentraltisch', wenn man das architektonische Bild mal übertragen darf. Oder man könnte denken an die Familienhierarchie im Eßzimmer, wo der Königsplatz an der Schmalseite des Tisches dem Vater der Familie zugestanden wird, jedenfalls in den älteren deutschen Familienverhältnissen. Das wäre dann die Frontalstellung vergleichbar dem lateinischen Langhaus in der kirchlichen Liturgie.

Auch in der Architektur-Geschichte gibt es ähnliche Entwicklungen, die sich beispielsweise gerade auf den Bau beziehen, auf den sich die Apostelnkirche beruft, auf St. Peter in Rom. Der Neubau der Peterskiche im 16. Jh. lag u.a. in der Verantwortung von Michelangelo, der einen Zentralbau wollte, wie ja die selbstbewußte Renaissance generell zu dieser Bauform neigte, vor allem in Italien. Das ethische Ziel der Renaissance war, wenn man das auf einen kurzen Begriff bringen will, die Vollendung der in sich geschlossenen Persönlichkeit. Und die architektonische Entsprechung zu diesem Bild war der zentrale Rundbau, "der den Eintretenden in seiner Mitte stehen ließ, so dass er, von allen Seiten gleichmäßig umfangen, die Harmonie einer in sich ruhenden Vollendung erlebt."

Paradoxerweise haben dann die Baukosten für St. Peter in Deutschland über die Ablaßpredigten Tetzels zur Reformation, zur Kirchenspaltung und in Folge zur deutlichen Schwächung der katholischen Kirche geführt, die sich dann zu einer Gegenreformation aufraffte. Dementsprechend hat in Rom der Nachfolger Michelangelos Carlo Maderno aus dem geplanten reinen Zentralbau eine Kombination von dem bereits stehenden Zentralbau Michelangelos und einem so riesigen angebauten Langhaus gemacht, dass die alte Frontalstellung wieder voll zur Geltung kam. Man kann sich die prunkvollen, rauschenden Religionsfeste der Gegenreformation in einem Zentralbau auch gar nicht vorstellen.

Es wird hier nicht behauptet, dass diese Gleichsetzung von eigenständiger Souveränität und Zentralbau auf der einen Seite und passiver Ergebenheit und "lateinischem" Langhaus auf der anderen Seite nun in allen Punkten bewiesen und möglicherweise auch durch Tiefeninterviews belegt worden wäre, aber so als Idee kann man das ja mal im Kopf behalten.

Zumindest ergibt sich damit eine Erklärung für die Bevorzugung des Kölner Raumes für Zentralbauten wie den Drei-Konchen-Chor. Köln gehörte damals zu den eigenständigen, phantasievollen und unruhigen Elementen in der deutschen und nordeuropäischen Geschichte und es hat sich in seiner Architektur die Form gewählt, die diesen Tendenzen am besten entspricht: eine neue Erfindung, die sich von ihrer Form her nicht an der passiven Vermittlung von Bekanntem orientiert, sondern auf die Kraft und Unabhängigkeit der eigenen Phantasie baut.

Das wird sich noch in anderer Hinsicht zeigen, u.a. auch in der Geschichte dieser Stadt. Köln hat sich nicht nur deutlich gegen kirchliche Bevormundung gewehrt, sondern sich jahrhundertelang erfolgreich aus allen möglichen kriegerischen Verwicklungen herausgehalten, vor allem später aus denen ideologisch-religiöser Art im 30jährigen Krieg, sich frühzeitig auf den Handel und die Kunst konzentriert und es dabei zu beachtlichem Wohlstand gebracht, der u.a. den Neubau von St. Aposteln im 12. Jh. ermöglichte.

Es soll aber nicht geleugnet werden, dass es auch andere Ableitungen für den Zentralbau in Köln gibt, die in der Kunstgeschichte verbreiteter sind und die beispielsweise darauf hinweisen, dass solche Chöre mit umlaufenden Seitenschiffen auch der zunehmenden Reliquienverehrung galten, die im 11. Jh. auftrat und die es erlaubte, die Zuschauermassen in geregelter Form um die Anbetungsstätte herumzuführen. Deshalb sind ähnliche Bauformen vor allem bei Pilgerkirchen anzutreffen. Aber beide Aspekte müssen sich ja nicht ausschließen.

Köln und Byzanz

Nochmals zurückkehrend zum Verhältnis zwischen Zentralbau und der Geburt Christi. Es besteht also eine historische Verbindung zwischen der Geburtskirche in Bethlehem und dem ersten Drei-Konchen-Chor von Maria im Kapitol in Köln. Diese Beziehung kann nur auf Grund literarischer Kenntnis zustande gekommen sein, möglicherweise vermittelt über Byzanz. Das klingt zwar auf den ersten Blick etwas seltsam, dass Köln intensivere Beziehungen zu Byzanz gehabt haben sollte. Aber es gab tatsächlich diverse familiäre Bindungen der erzbischöflichen Familien dorthin, und die waren häufig mit der kaiserlichen Familie eng verwandt.

Solche Familienverhältnisse spielen nebenbei bemerkt auch eine Rolle in der Architektur. Als Maria im Kapitol gebaut wurde, regierte in Köln EBf Hermann II. (1036-1056), ein Enkel Kaiser Ottos II. Und der hatte im Jahr 972 Theophanu, eine Nichte des byzantinischen Kaisers geheiratet, und zwar aus keinem andern Grund als seine Anerkennung als Kaiser zu gewährleisten. Und Byzanz war eben die damalige Konkurrenz, die man sich mit einer solchen Heirat gewogen machen wollte. Hermanns Schwester Ida war Äbtissin in Maria im Kapitol, eine weitere Schwester war Äbtissin in Essen und Gerresheim, Schwester Heilwig in Neuss - übrigens auch ein Drei-Konchen-Chor, die Schwester Richeza hatte es bis zur Königin von Polen gebracht, bevor sie sich als Witwe an den Rhein nach Brauweiler zurückzog. Köln hatte also tatsächlich weitreichende Beziehungen.

Seit dem 11. Jh. lag das Recht zur Königskrönung in der Hand des Kölner EBfs, seit 1031 wird das Erzkanzleramt für Italien mit dem Kölner Erzstuhl verbunden. Solche engen Beziehung der Kölner EBfe zur obersten Macht im Reich waren also durchaus üblich und über diese Nähe zum Kaiserhaus gab es auch Beziehungen zu anderen Metropolen, vor allem zu Byznaz und zum Heiligen Land.

Die Kreuzzüge

Der erst Drei-Konchen-Bau von St. Maria im Kapitol 16 wäre damit in seiner Genese erklärt. Für die späteren Drei-Konchen-Chöre von Groß St. Martin  7  und St. Aposteln gibt es andere Ableitungs-Verhältnisse, denn mittlerweile fanden seit 1095 die Kreuzzüge statt, die genauere Kenntnisse der orientalischen Architektur ins nordeuropäische Abendland brachten. An dem 2. Kreuzzug 1147-49, der bis Jerusalem führte und der die Vorstellung von den Stätten des heiligen Landes wiederbelebt hat, nahm beispielsweise auch der Kölner Domprobst Arnold von Wied teil.

Nach seiner Rückkehr hatte er sich dann in Schwarzrheindorf bei Bonn seine 1151 geweihte Doppelkapelle gebaut, die eine dem Kleeblattchor ähnliche Grundrißform zeigt. Im gleichen Jahr wurde er Kölner Erzbischof. Das also als weiterer Hinweis drauf, dass und wie architektonische Formanregungen aus dem Orient nach Köln gelangt sind. Für Maria im Kapitol, die bereits 1065 geweiht wurde, können die Kreuzzüge aber demnach keine Rolle gespielt haben, sondern lediglich literarische Überlieferungen.

Also als kurzes Resumee läßt sich sagen: der Drei-Konchen-Chor von Köln läßt sich in seiner Grundform zwar auf Vorbilder aus der römischen Grab-Architektur und auf die Geburtskirche in Bethlehem zurückführen, findet aber hier in Köln eine neue, eigenständige Formulierung, die in dieser Form keine Vorbilder hat.

Nach 1065 mit der Vollendung der Kapitolskirche tritt in Köln eine Pause von ungefähr 100 Jahren ein, bevor 1150 Groß St. Martin  7  diese Bauidee wieder aufgreift. Jetzt könnte man ja meinen, bei der Entfernung von wenigen hundert Metern zwischen beiden Kirchen, dass hier die Ableitung der Bauform doch auf der Hand liegt. Man hat eben die Idee von Maria im Kapitol wieder aufgegriffen. Aber so einfach ist das nicht und die Drei-Konchen-Chöre von Groß St. Martin  7  und St. Aposteln sehen auch anders aus als beim Kölner Urbild.

Die Begegnung der Kreuzfahrer mit den Bauformen des Heiligen Landes haben die Drei-Konchen-Idee in staufischer Zeit wieder relevant werden lassen. Aber mittlerweile hatte in Frankreich die Gotik um 1135 begonnen, und das war den Kölner Baumeistern nicht verborgen geblieben. Und nun greift man in der Gestaltung der neuen Drei-Konchen-Chöre auf Gliederungsmittel zurück, die inzwischen in Frankreich entwickelt worden sind. Es wurde ja bereits erwähnt, dass in Köln viele Informationen zur zeitgenössischen Baukunst zusammen kamen.

Die Zweischaligkeit

Die Seitenschiffe gehen allgemein nicht mehr in voller Breite um die Konchen herum. Die Säulen des ehemaligen Umgangs rücken näher an die Wand heran und lassen lediglich einen schmalen Laufgang entstehen. Dafür wird jetzt, das war bei der Kapitolskirche nicht so, das obere Geschoß dem unteren entsprechend gegliedert, so dass so etwas wie eine Aufspaltung der gesamten Wand, eine Zweischaligkeit entsteht. Man könnte sagen, dass vor der eigentlichen Stützwand eine gemauerte Bildschicht gesetzt wird, die es erlaubt, sämtliche Wände zu plastischen Ausdrucksträgern zu machen. Und hier setzt nun seit 1150 die große Epoche der Gestaltungsvielfalt der Spätromanik ein, die in Köln einige ihrer besten Ergebnisse besitzt. Und jetzt wird auch in zunehmendem Maß der Außenbau mit einbezogen.

Wesentlich beispielsweise in Groß St. Martin  7  und St. Aposteln ist dann, dass die Umfassungswände nicht als kompakte Mauern den Innenraum umschließen, sondern dass sie mit Öffnungen, Emporen und Laufgängen aufgelockert und mit reichhaltiger Formenvielfalt dekoriert werden.

Schon seit dem ausgehenden 10. Jh. machte sich in der nordeuropäischen Architektur die Tendenz zur Wandauflockerung bemerkbar. Begonnen hatte auch diese Entwicklung in Konstantinopel. Schließlich lag hier das Zentrum des ausgehenden Römischen Reiches und des beginnenden Christentums.

Zu einer konsequenten Durchführung aber kommt es am Niederrhein, seit, beginnend mit St. Ursula 13 in Köln, zu Anfang des 12. Jhs. Emporen das Mittelschiff begleiten und damit in die einstmals glatte Wandfläche nun deutliche Einschnitte erfolgt waren. Und das übertrug sich auch auf den Außenbau.

Diese neuen Bauideen kommen aus einer Gegend und gehen von einer Volksgruppe aus, auf die noch näher eingegangen wird. Zunächst nur als Information: Entscheidend war dabei der Kontakt mit West-Frankreich, besonders mit der Architektur der Normandie. Das Rheinland entwickelte auf dieser Basis seine Sonderform, die sich in der Verräumlichung der Mauern und in der feingliedrigen, teilweise grazilen Formensprache von der übrigen deutschen Baukunst unterscheidet.

Zwei 'formale' Machtbereiche in Deutschland

Das Gebiet vom Ober- bis zum Niederrhein faßt die Mauermassen zunehmend als durchgliederte plastische Körper auf, Bayern und Niedersachsen dagegen bleiben bei der strengen, ungegliederten Wand. Wir haben hier im stilistischen Bereich der Architektur eine ähnliche Aufspaltung des Landes, wie sie dem großen staatspolitischen Konkurrenzkampf der sächsisch-bayerischen Welfen gegen die fränkisch-schwäbischen Staufer entsprechen, die ihre Ansprüche auf das Herrscheramt vor allem seit der Wahl Friedrich Barbarossas 1152 gesichert sahen – wieder ein Datum um 1150 herum!

Nur das Rheinland, das die Staufer anerkannte, lockerte die Mauern selbst durch Nischen und Laufgänge auf und schaffte damit die folgenreiche Zweischaligkeit, die in der Spätromanik und sich fortsetzend in der Gotik zu einem grundlegenden Gestaltungsprinzip in der ganzen nordeuropäischen Architektur wurde. St. Aposteln wird darin häufig als die ausgewogendste und eindrucksvollste Version angesehen. Als Gegenbeispiel aus dem niedersächsischen Raum kann man an St. Michael in Hildesheim ab 1010 denken.

Hier existiert übrigens noch eine der großen Doppelchor-Anlagen, also eine Kirche, die nicht nur einen Chor mit Altar im Osten hat wie die meisten, sondern die im Osten und im Westen jeweils eine eigene Choranlage besitzt, was einem solchen Bau häufig einen besonders majestätischen Charakter und eine hohe dynamische Ausgewogenheit verleiht, weil sich auf beiden Seiten ähnlich gewichtige Turmgruppen gegenüber stehen. Eine solche Bauform war typisch für die Zeit vor dem Investiturstreit, als in den beiden polaren Baukomplexen die geistliche Macht im Osten und die weltliche Gewalt im Westen in einem Bauwerk bildlich zusammengezogen wurden. Zu jener Zeit stand der Kreuzaltar noch in der Mitte des Bauwerkes im Langhaus und nicht in der Ostapsis. Dort befand sich stattdessen der Bischofsthron. Solche doppelchörigen Anlagen verschwanden ebenfalls nach dem Sieg des Papstes über den Kaiser. Fortan gab es nur noch einen Ostchor.

Der stilistische Unterschied der beiden Architektur-Richtungen auf deutschem Boden wird in Köln zunächst einmal dadurch besonders deutlich, dass hier überhaupt viel gebaut wurde und das wiederum hatte natürlich mit dem wirtschaftlichen Wohlstand der Stadt zu tun. Aber das würde nur erklären, dass solche Bauwerke überhaupt entstehen, nicht aber, in welcher Form. Nun ist vorhin von Einflüssen erzählt worden, die teilweise aus dem Heilgen Land, aus Bethlehem kommen, später aus Byzanz. Dann ist aber auch schon von Frankreich die Rede gewesen und vor allem von der Normandie, also von der entgegengesetzten Richtung zum Orient. Was soll das alles heißen und was hat Köln damit zu tun und warum gab es die gleichen Einflüsse nicht in Bayern oder in Niedersachsen.

Der normannische Einfluss

Zu diesem Thema läßt sich viel sagen und die Kunstgeschichte ist sich da auch keineswegs einig, wenn sie sich überhaupt dazu äußert. Häufig begnügen sich die Kunsthistoriker damit, solche Unterschiede lediglich zu konstatieren, ohne sie zu begründen - vielleicht aus Vorsicht. Ein Punkt scheint aber von besonderer Bedeutung zu sein, der hier als weiteres Sonderthema erläutert wird.

Köln ist eine Hansestadt, liegt an einem vielbefahrenen Fluß, der immer schon für große Handelsströme gesorgt hat, die alle an Köln vorbei und wegen des Stapelrechts auch durch die Handelsplätze der Stadt hindurchführten, u.a. hier durch den Neumarkt. D.h. in Köln gab es eine hohe soziale Beweglichkeit, man könnte auch sagen Unruhe, die selbstverständlich auch zu einer über Jahrhunderte bedeutenden Stadt gehört. Das ist ja schon bei der symbolischen Bedeutung des Drei-Konchen-Chores angeschnitten worden. Was hat das aber mit der Zweischaligkeit der Mauern in Groß St. Martin  7  und St. Aposteln zu tun?

Es ist vorhin bei dem Vergleich zwischen Zentralbau und lateinischem Langhaus schon einmal eine Beziehung hergestellt worden zwischen psychischer Disposition und Architektur. Und das soll hier auch versucht werden. Die neue Version des Drei-Konchen-Chores ab 1150 steht in Beziehung zu Architekturformen aus West- und Nordfrankreich, vor allem aus der Normandie. Was für eine Architektur gab es denn da und warum wurde sie in Köln aufgegriffen?

Die Normandie hat ihren Namen von den Normannen, die übrigens im 9. Jh. persönlich hier in Köln waren, allerdings weniger aus kulturellen Gründen, sondern mehr wegen diverser Plünderungen. Und die Ausdruckssteigerung in der traditionellen Architektur der Hoch- und Spätromanik geht - neben anderen Einflüssen - bezeichnenderweise von diesem Volk aus, das wir normalerweise die Wikinger nennen und denen wir, - nach allem, was wir in romantischen Erzählungen oder Filmen von ihnen zu wissen glauben - solche kulturellen Leistungen kaum zutrauen würden. Aber man sollte daran denken, dass die Normannen größere Teile Europas erobert und besiedelt haben, dabei bis Sizilien gekommen sind, wo heute noch ihre massiv-nordischen Kathedralen stehen und sich in der südlichen Sonne wie Fremdkörper ausnehmen. Es war offenbar ein sehr unruhiges Volk.

Durham gegen Verona: Ekstase gegen Gelassenheit

Die Römer beispielsweise haben systematisch und flächendeckend erobert und ihr Stammland nie verlassen, die Normannen zogen eher von einem Punkt zum anderen und kamen dabei in Gegenden wie Sizilien, die zu ihrer nordischen Heimat fast jenseits des Polarkreises völlig konträr waren. Sie haben Nordfrankreich erobert (Normandie!), haben von dort aus 1066 nach England übergesetzt und die englische Architektur-Geschichte erst eigentlich begonnen.

Die normannische Architektur löste die gelassene Ruhe der früh-romanischen Bauten auf, die noch an die antike Tradition gebunden waren, und machte den einstmals einfachen Kirchenbau zu einem hochgespannten Ausdrucksträger, dessen Innenwände wie ein gigantisches Ornament aussehen konnten. Zwei ungefähr zeitgleiche Beispiele sollte man sich vor Augen führen, die die unterschiedlichen Verhältnisse zwischen lateinischem Mittelmeerraum und normannischem Norden deutlich werden lassen: aus Verona in Norditalien die Kathedrale S. Zeno Maggiore von 1125-1139 und in Durham in Nordengland das Mittelschiff der Kathedrale von 1093-1130.

In Durham zu Anfang der normannischen Entwicklung in England wird schon deutlich, worum es den normannischen Baumeistern gegangen ist. Die einstmals geschlossenen, ruhigen Wandflächen der klassischen Antike, wie sie im italienischen Beispiel noch im 12. Jh. wirksam ist, sind in Durham in drei Geschossen durch verschiedene Gliederungssysteme geöffnet, die alle wiederum in sich reichhaltig plastisch gestaltet sind. Da sind beispielsweise die riesigen, mächtigen Arkaden des Erdgeschosses. Jede Säule ist großflächig mit den typischen normannischen Ornamenten, u.a. dem bekannten Zickzackmuster überzogen. Die Pfeilerbündel zeigen mehrfache Stufungen, eingesetzte Halb- und Dreiviertelsäulen. Alles ist miteinander durch wiederum gestufte Ornamentbögen verbunden. Das Triforiumsgeschoß darüber und der nach oben abschließende Lichtgaden sind ebenso reichhaltig gegliedert. Überwölbt wird das Mittelschiff von dem ersten Kreuzrippengewölbe der Kunstgeschichte, dessen Rippen wiederum gestuft und ornamentiert sind: also eine fast überbordende Vielfalt verschiedenster Gestaltungsformen.

Dieses unruhige, aber schöpferische Volk der Normannen hat also offenbar auch in die Mauern und die anderen Teile seiner Architektur diese Unruhe hineingebracht, die einstmals ruhigen Flächen aufgebrochen und mit ständig wechselnden Gestaltungsformen plastisch gegliedert, genauso wie sie auch die politischen Verhältnisse der eroberten Völker beunruhigten und neu gestalteten. Eine Theorie zur psychologischen Erklärung solcher Phänomene könnte angeführt werden, und zwar Wilhelm Worringers "Abstraktion und Einfühlung".

Nur kurz zur Einführung: Worringer stellt einen Zusammenhang her zwischen der Entstehung von Kunst und der von Religion, von kulturellen Prozessen überhaupt, indem er psychische Gegebenheiten als grundlegend für die spezifischen Entwicklungsformen von Kulturprodukten ansieht. Er geht dabei nicht in erster Linie von einem autarken Gebiet "Kunst" aus, das sich nach reinen "Kunstgesetzen" entwickelt. Er sieht die Kunst vielmehr in Abhängigkeit von der psychischen Situation eines Volkes zu einer bestimmten Zeit. Und von da her kommt er zu einem grundlegenden Antagonismus der beiden entgegenlaufenden und sich ergänzenden Prozesse "Abstraktion" und "Einfühlung".

Für die nordeuropäische Kunst hatte Worringer eine besondere Kombination seiner Grundprinzipien angenommen, indem er hier einen maßlos übersteigerten Ausdrucksdrang wirksam werden sah, der sich mit harmonisch-organischen Formmöglichkeiten nicht zufrieden geben konnte und sich deshalb der anorganischen Formen bediente, die eine ekstatischere und unruhige Bewegung ermöglichen.

Um 1150, als Köln sein großes Jahrhundert begann, hatte es bereits davon gehört, dass seit 1130 in Frankreich ganz andere Bauformen entwickelt worden waren, die mit dieser normannischen Bauweise in enger Beziehung standen, der Gotik. Und Köln scheint, zumindest zur damaligen Zeit - 1150 - in dieser normannischen Architektur einen verwandten – und jetzt auch modernen, also zeitgemäßen - Geist gespürt zu haben, weshalb es Gliederungsprinzipien dieses Raumes hier aufgriff und sie mit der heimischen Tradition des Drei-Konchen-Chores verband. Nicht umsonst ist 100 Jahre später mit dem Neubau des Kölner Domes hier eine weitere "himmelsstürmende Vision" entstanden. Köln war damals offenbar eine sehr leidenschaftliche Stadt.

Zumindest ergibt sich für die kölnischen Verhältnisse damit eine Erklärung für die spezifische Verbindung von Zentralbau und Langhaus zeitlich weit vor dem Neubau von St. Peter in Rom, wo dasselbe durchgeführt wurde. Was macht man, wenn man sich zwischen zwei polar entgegenstehenden Lösungen nicht entscheiden kann oder will? Man verbindet sie einfach und weicht damit einer Entscheidung mit möglicherweise unangenehmen Konsequenzen aus. Und so hat hier bei Maria im Kapitol in der Zeit um 1040, bei Groß St. Martin  7  1150 und bei St. Aposteln 1200 vielleicht die "kölsche Mentalität" und ihre tendenzielle Vermeidung von ideologischen Einseitigkeiten in der spezifischen Formulierung der Kölnischen Architektur einen beredten Ausdruck gefunden, wie er sich auch in der langjährigen Geschichte dieser Stadt zeigt, die sich jahrhundertelang erfolgreich aus allen möglichen kriegerischen Verwicklungen heraushalten konnte, bis hin zu dem Zustand im 19. Jh., dass Köln sogar preußisch wurde, aber gerade in dieser Zeit seinen gotisch-katholischen Dom vollendete. Man muß das eben nicht so eng sehen.

Die Türme

Und diese normannisch-kölsche Leidenschaftlichkeit zeigt sich nicht nur in der Wandgliederung des Innenraumes, sondern auch am Außenbau, vor allem in der charakteristischen Staffelung der verschiedenen Türme in der Höhe, die ihren Höhepunkt im Vierungsturm in der Mitte finden. Das Bild des Turmes ist ein ungemein vielschichtiges Phänomen und es soll hier von verschiedenen Aspekten her aufgegriffen werden, wobei der Turm von allen Entwicklungs-Seiten her tatsächlich als Höhepunkt erscheint.

Die Entwicklung von Türmen stellt in der nordeuropäischen Architektur ein besonderes Kennzeichen dar und für die Architekturgeschichte eine Neuerung. Das muss besonders betont werden, weil wir mittlerweile derart an Türme gewöhnt sind, vor allem in Köln, dass wir geneigt sind zu glauben, es hätte immer schon Türme gegeben, sie seien also gleichsam selbstverständlich. Das ist nicht so.

In der antiken Architektur gab es keine Türme und die späteren italienischen Campanile-Türme seit dem 6. Jh. sind nicht mit dem Hauptgebäude verbunden und finden in ihm auch später keine Entsprechung. Wann Türme im nordeuropäischen Raum zum erstenmal auftreten, ist nicht erwiesen, da mögliche Steintürme ungewisser Höhe eingestürzt oder entsprechende Holztürme vermodert oder verbrannt sein können. Holztürme der vorkarolingischen Zeit sind lediglich literarisch bezeugt.

Ein erstes Stichwort ist damit allerdings bereits gefallen: Holz. Während die griechisch-lateinischen Mittelmeervölker in ihrem jeweiligen Stammland sesshaft blieben und eine lange Tradition des Steinbaues entwickelten, waren die nordeuropäischen, germanischen Völker durch Jahrhunderte hindurch unterwegs, was unter dem Begriff der Völkerwanderung in die Geschichte eingegangen ist. Die germanischen Völker bauten ihre Häuser nicht aus Stein, da sie nicht mit einer langen Verweildauer rechneten und auf dem Gebiet des Steinbaues daher auch keine Erfah

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